Wir müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass der Arbeitsstandort Deutschland im Ausland attraktiver wird.
Durch den demografischen Wandel und die Digitalisierung verändert sich unsere Arbeitswelt und damit auch der Wirtschaftsstandort Deutschland.
Wir merken es aktuell überall: Handwerkerinnen und Handwerker sind schwierig oder nur mit langem Vorlauf zu bekommen, Erzieherinnen und Erzieher fehlen und besonders die, die Angehörige pflegen müssen und Unterstützung brauchen, stehen oft vor großen Herausforderungen.
Wir wollen deshalb alles dafür tun, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Jedes Jahr fehlen über 350.000 Arbeitskräfte, die unseren Wohlstand sichern. Und damit stehen gleichzeitig viele Arbeitsplätze auf dem Spiel. Zum Beispiel in der Industrie: Wenn ein Zulieferbetrieb nicht mehr liefern kann, weil nicht ausreichend Fachkräfte im Betrieb sind, um zu fertigen, stehen auch weitere Bänder entlang der Produktionsstraße still, gefährden Lieferzeiten und Auftragserfüllung und damit Arbeitsplätze.
Wir wollen die Potenziale im In- und Ausland nutzen: Mit dem Bürgergeld und der Weiterentwicklung des inklusiven Arbeitsmarktes, mit Qualifizierung und Weiterbildung und einer besseren Kinderbetreuung heben wir das Fachkräftepotenzial im Inland. Durch eine Ausbildungsplatzgarantie wollen wir die berufliche Ausbildung attraktiver machen und mehr junge Menschen für eine gute Berufsausbildung begeistern. Durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zum Beispiel durch den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Schulen oder besserer Kinderbetreuung im Bereich der frühkindlichen Bildung, werden wir die Erwerbsbeteiligung von Frauen steigern – das größte Potenzial, das wir im Inland aktuell nicht nutzen.
Dies allein wird aber nicht ausreichen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Deswegen ist es notwendig, gezielt qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben. Diese Fachkräfte warten nicht darauf, zu uns kommen zu können. Sie arbeiten lieber in Ländern, in denen Englisch, Französisch oder Spanisch gesprochen wird. Deshalb ist es eine der größten Herausforderungen bei der Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland, als Gesellschaft eine echte Willkommenskultur zu entwickeln.
Dafür brauchen wir ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das unser Einwanderungsrecht auf die Höhe der Zeit bringt. Wir wollen dafür Sorge tragen, dass im Ausland erworbene Qualifikationen und Fähigkeiten hier schneller und unbürokratischer anerkannt werden können. Damit schaffen wir für Menschen, die von außerhalb der Europäischen Union kommen, einen besseren und schnelleren Zugang zum Arbeitsmarkt. Mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht sorgen wir zudem für eine langfristige Perspektive: Menschen, die mindestens fünf Jahre in Deutschland leben und nicht straffällig aufgefallen sind, bekommen einen dauerhaften Aufenthaltstitel. Damit wird verhindert, dass gut integrierte Menschen, die häufig gerade eine Ausbildung absolvieren, abgeschoben werden können. Mich erreichen immer wieder Nachrichten von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, die ihr Unverständnis darüber ausdrücken, dass ihr Auszubildender oder ihre Auszubildende trotz guter Integration in Gefahr ist, abgeschoben zu werden.
Die Unternehmen brauchen die Arbeitskräfte und wir müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass der Arbeitsstandort Deutschland im Ausland attraktiver wird. Deswegen ändern wir das Staatsangehörigkeitsrecht und bringen es auf die Höhe der Zeit. Künftig sollen Menschen bereits nach fünf und nicht wie bisher nach acht Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft mit allen Rechten und Pflichten erwerben können. So wird es bereits in vielen Nachbarländern gehandhabt. Damit geben auch wir denjenigen, die in unser Land kommen um zu arbeiten, eine echte Perspektive.
Ohne eine echte Willkommenskultur wird ein Gesetz allein nicht reichen. Menschen im Ausland beobachten Deutschland sehr genau. Die meisten Fachkräfte, die sich entscheiden, ihr Land zu verlassen, wollen in ein Land auswandern, in dem sie eine echte Chance auf gleiche Rechte und Pflichten und eine Zukunft für ihre Familien haben. Wollen wir unseren Wohlstand sichern, dann müssen wir uns öffnen und Menschen anhand ihres Charakters und ihrer Leistung und nicht anhand ihres Vornamens beurteilen.
Dagmar Schmidt ist seit 2013 Mitglied im Deutschen Bundestag und seit 2021 die direkt-gewählte Abgeordnete für den Lahn-Dill-Kreis, Biebertal und Wettenberg.
Als stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion ist sie zuständig für die Bereiche Arbeit und Soziales sowie Gesundheit. Seit 2013 ist sie Mitglied im Bundesvorstand der SPD, wo sie sich ebenfalls hauptsächlich mit dem Themenbereich Arbeit und Soziales beschäftigt.